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OPERN- UND KULTURFAHRTEN
Rückblick
Ballett Julia & Romeo
Ausflug zum Ballett „Julia & Romeo“ in das Theater Basel
Wir wussten es schon vorher: Der Vorschlag für einen Besuch des Balletts – besser des Tanzspektakels – „Julia & Romeo“ in Basel war mutig, sehr mutig – im Nachhinein müssen wir leider sagen – fast zu mutig!
Aber jetzt erst einmal von Anfang an: Wir hatten zwei sehr schöne Opernbesuche im Theater Basel hinter uns: „Salome“ von Richard Strauss und „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi. In Baden-Baden durften wir uns am Ballett “Dona Nobis Pacem” von John Neumeier erfreuen und im aktuellen Programm erwartet uns „Anna Karenina“ in Stuttgart – ebenfalls von diesem Großmeister der Ballettchoreographie. So dachten wir, hätten wir vielleicht mit dem klassischen, sehr häufig bearbeiteten Thema „Romeo und Julia“ – Stopp! – mit „Julia & Romeo“ einen interessanten Vorschlag für unsere Musikfreunde. Am Theater Basel als radikales Tanztheater zweier isländischer Tänzerinnen und Choreographinnen angelegt, wollten wir uns durchaus auf eine mutige, spektakuläre, zeitgenössische Interpretation dieses Themas einlassen.
Wir meinten zu wissen, worauf wir uns einlassen. Am 22. November 2018 fand die Uraufführung in München im Gärtnerplatztheater statt. Die Kritiken der Zeitungen waren nicht übel und machten uns Mut. So hieß es in BR Klassik: „Eine extreme und polarisierende Tanz-Performance am Gärtnerplatztheater. Die beiden isländischen Choreographinnen Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir zeigen Shakespeares Liebes-Tragödie als brutalen Abgesang auf Sexualität - das überzeugt“. Die „Süddeutsche Zeitung“, der „Münchner Merkur“ und die „Abendzeitung“ äußerten sich teils kritisch, teils mutig lobend. So schrieb der Merkur am 24/25.11.2018: „Man sollte sich auf dieses Island-Wagnis einlassen“.

Aber was uns in Basel tatsächlich erwarten würde, wussten wir nicht. Und so besuchten wir einige Tage vor der ersten Aufführung die in Basel übliche Informationsveranstaltung „Vor der Premiere“, die in einer gut 20-minütigen Bühnenprobe gipfelte. Die Ballettdirektorin Adolphe Binder, die Kostümdesignerin Hanna Kisch und der Musiker und Komponist Valdimar Jóhannsson schilderten uns Idee und Ausführung dieses exzessiven Tanztheaters: Uns wurde klar, dass das klassische Thema, die unerfüllte Liebe zweier Menschen, das klassische Ballett und auch die Musik von Sergej Prokofjew in den Hintergrund treten würden. Die Liebe zwischen Frau und Mann, Partnerschaft und Sexualität würden hier eine völlig neue, feministische oder auch diverse Neuinterpretation erfahren.
Aber leider hatte das Theater Basel genau mit diesen Momenten sehr stark Werbung für die Produktion gemacht. Sie hatten den ersten Teil als humorvolles und heiteres Tanzspektakel präsentiert und den zweiten Teil nach der Pause als blutige, archaisch-brutale, von E-Gitarren begleitete Performance beschrieben. Wir meinen: übertrieben. Und auch die der Premiere folgenden Kritiken in „Basler Zeitung“ und „NZZ“ folgten diesem Muster, so dass wir uns nicht wunderten, dass sich nur sehr wenige Interessenten für „Julia & Romeo“ fanden. Aber die Reservierungsfrist war noch nicht erreicht.
Was tun, hatte uns doch ein wenig der Mut verlassen? Anderseits stand die Frage im Raum: Was hatten wir in der „Vorpremiere“ nun wirklich erlebt?
Mithin wir zwei, die Organisatoren der Opern- und Ballett-Besuche, fuhren am 19.01.2025 alleine nach Basel. Wir gönnten uns vor dem Theaterbesuch die grandiose Matisse-Ausstellung „Einladung zur Reise“ im Museum der Fondation Beyeler in Riehen. Im Theater Basel angekommen, hörten wir uns die Einführung an. Und vielleicht verstanden wir sogar, dass man die Tragödie William Shakespeares „Romeo und Julia“ aus dem Jahr 1597 auch als Verheiratung einer liebenden Kindfrau mit einem natürlich dominanten, aber liebenden Mann im Umfeld brutaler, sich bekämpfender Familien verstehen kann. Bekanntlich begehen beide Liebenden Selbstmord.
Wir selbst sehen uns nicht als Ballett-Spezialisten und so empfanden wir das Ballett – besser – dieses Tanzspektakel als faszinierend ungewöhnlich. Es war ganz anders, als wir erwartet oder auch befürchtet hatten. Rudimentär und nur im Hintergrund versteckt begleitete im ersten Teil Prokofjews Musik die Tänzer. Die Compagnie bot insbesondere in ihrer Einheit, aber auch in Paaren oder Gruppen viele überraschende Momente, gelegentlich auch Zitate des klassischen Balletts. Das Klischee des stummen Tänzers war vergessen und so wurde geflüstert, rhythmisch gestöhnt und geschrien. Die Philosophie der Realisation, jede und jeder tanzt jede Rolle, wirkte stimmig. Das Ensemble agierte als überwältigende Einheit, konnte überzeugen. Leichtigkeit, Heiterkeit und Humor fanden sich gerade in der – allerdings recht lang geratenen – „Vorstellungsrunde“ der einzelnen Tänzerinnen und Tänzer. Doch in nicht vorhersehbarer Weise stellten sich gegen Ende des ersten Teils leider auch Langeweile und Erschöpfung ein.

Der zweite Teil war dann alles andere als „langweilig“. Er war laut, „blutig“ und „gewaltvoll“. Am Anfang von elektrischen Gitarren begleitet, erlebten wir nur noch wenig Ballett, hingegen viel Gruppengymnastik, exzessiven Tanz: Es kam zum erwarteten, ekstatisch blutigen Tanzspektakel. Eine spannende Lichtführung unterstützte das Geschehen ebenso wie das sich immer bewegende, manchmal spärliche, teils aber schwülstige Bühnenbild mit einem herzförmigen Bett und schwebenden Neonherzen im Zentrum. Kitsch oder Kunst, das war hier die Frage. Aber verstörend oder gar abstoßend war dieses Tanztheater nie. Wir waren eigentlich immer fasziniert von der Dynamik und der Ästhetik auch der blutigen Szenen.
Hat es sich gelohnt? Eine schwer zu beantwortende Frage. Jeder von uns hat etwa 150 EUR ausgegeben für ein Experiment, für eine neue, nicht absehbare Erfahrung. Und wir können im Nachhinein jeden unserer Musikfreunde verstehen, der/die sagte: „Das ist es mir nicht wert“. Andererseits war das Basler Theater sehr gut besucht, fast ausverkauft. Das Publikum war ausgesprochen durchmischt, jung und alt, schick und locker und sicher nicht elitär. Vielleicht ist dies der Frage zutreffendste Antwort: „Man sollte sich auf dieses Island-Wagnis einlassen“, hatte der Münchner Merkur geschrieben und hervorgehoben, dass man sich auch in der Kunst nie neuen und ungewöhnlichen Wegen verschließen sollte.
Würden wir es wieder „wagen“: Ja!
Oper Idomeneo
Rückblick Besuch Staatsoper Stuttgart, Oper, Wolfgang Amadeus Mozart, „Idomeneo“
Liebe Opernfreundinnen und -freunde, wie beschreibt man einen (fast) perfekten Opernabend? Beginnt man mit der schon üblich gewordenen Beschreibung der Hin- und Rückfahrt?
Wollte man diesen Weg beschreiten, so bliebe in der Zusammenfassung vornehmlich ein Satz: Es hat alles wunderbar geklappt. Pünktliche Abfahrt, pünktliches Eintreffen vor der Staatsoper in Stuttgart, Zeit für ein kurzes Verschnaufen, Teilnahme an der Einführung, überraschende Umsetzung der ersten beiden Akte, wunderbare Sitzplätze zur Pause einschließlich Getränkeservice, gelungene Fortsetzung per drittem Akt, Teilhabe an der Premierenfeier und rege Gespräche auf der sicheren Rückfahrt – was will man mehr?
Oder legt man gleich mit den Informationen und Eindrücken zur Oper „Idomeneo“ (Uraufführung 1781) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791) los und setzt hierzu ein paar Marken der Erinnerung?
Tragische Handlung, wohlan, nimm Deinen Lauf und leite uns durch die komplexen Konfliktlagen deiner Figuren dieses „dramma per musica“: Ein Vater-Sohn-Drama als Schattenspiel gleich einem Scherenschnitt, als Vergegenwärtigung des Unterbewussten – eine Überraschung? Nicht wirklich, wie man im ersten Reflex glauben mag, sind doch die Seelen aller Protagonisten durch große Schatten verdunkelt: So kämpft Idomeneo nicht nur mit dem Schuldgefühl wegen seines Gelübdes, das ihm zur Rettung auf hoher See ein Menschenopfer abverlangt. Auch zeigen sich erste Schatten als Vorboten eines heraufziehenden Machtverlustes zugunsten des Sohnes. Idamante hingegen bleibt verborgen, warum sich der Vater aller Annäherungsversuche zum Trotz so ablehnend verhält. Ilia, die trojanische Prinzessin, leidet in ihrer Gefangenschaft am Verlust Ihrer Familie wie Ihrer Heimat. Und als ob Mozart den tragischen Verwicklungen noch ein Krönchen aufsetzen möchte, muss die griechische Prinzessin Elettra erleben, wie sich Idamante nicht ihr, sondern der trojanischen Gefangenen zuwendet. Und die in der Bühnenmitte hängende Axt schwebt über allem.
Vor mir „sehe ich, wie der schmerzerfüllte Schatten mich Tag und Nacht umschwebt“ (Idomeneo; achte Szene; Arie) – vielleicht war auch das für den Regisseur Bastian Kraft das auslösende Moment für die Idee der Schatten?
Wie auch immer: Mal riesengroß und bedrohlich, mal klein und fast zierlich helfen diese Schattenbilder, die von Scheinwerfern am Bühnenrand an den weißen Hintergrund geworfen werden, jede der Szenen, jede der Qualen (be-)greifbarer werden zu lassen. Und dies gerade auch dann, wenn eine zweite, aber abwesende Person als Schatten hinzutritt. Darüber hinaus gewähren projizierte Videobilder einen Blick auf Vorgeschichte wie künftige Ereignisse und versinnbildlichen Gedanken, Hoffnungen oder Ängste der Figuren.

Der Kritik, das Schattenspiel ließe um den Preis des schönen Scheins das „radikale Potential von Mozarts frühem Opernerfolg“ außer Acht, nämlich „die Ablösung väterlicher Macht durch den Sohn“ (Bernd Künzig), kann ich nur bedingt folgen. Zwar nicht exponiert und interpretatorisch ausdifferenziert, war doch auch dieser Konflikt augenscheinlich und ein sehr wichtiger Teil des dramatischen Spiels.
Der ebenfalls hier und da geäußerten Kritik, die Schatten würden „von den lebenden Akteuren ablenken und die Handlungsträger ihrer Dramatik berauben“ (Christoph Wurzel), kann ich schon eher folgen, auch wenn es gerade diese Schatten waren, die mich alsbald den Versuch einstellen ließen, den Übertiteln zumindest in Teilen folgen zu wollen: Das Zusammenspiel der Akteure, Schatten und Einspielungen ließ zumindest erahnen, was Musik und Spiel vor und auf der Bühne in Szene zu setzen suchten: Der Text wäre die Ablenkung.
Apropos Musik: Die musikalische Leitung lag in den Händen von Cornelius Meister, der – so die einhellige Kritik – im Zusammenwirken mit dem Staatsorchester für „die eigentliche Dramatik“ und im Sinne Mozarts für eine „differenzierte Klangwelt“ sorgte: „Das Orchester wird stets zum entscheidenden Überträger der Stimmungen und Gefühle“ (Christoph Wurzel).
Und wo wir gerade beim Thema sind: Leider blieb die Stimme von Jeremy Ovenden (Idomeneo) hinter den Erwartungen zurück: Es fehlte ihr schlicht die für einen Herrscher erforderliche Größe und Ausdrucksstärke. Ganz anders hingegen Lavinia Bini (Ilia), deren Stimme schon fast zu viel Volumen auf die Bühne brachte, Diana Haller (Elettra), die insbesondere in der Verzweiflungsarie „alle Wut heraus [ließ] und zeigt[e], dass Koloraturen bei Mozart nicht allein vokaler Schmuck, sondern tiefster Ausdruck der Seele sind“ (Christoph Wurzel) und Anett Fritsch (Idamante), die mit ihrer „nuancierten wie farbenreichen Stimme“ (Christoph Wurzel) ebenfalls herausragte.

Alles in allem kommt die von mir zu Rate gezogene Kritik zu dem Schluss, dass „das Schattenspiel dann doch etwas hinter den konzeptionellen Erwartungen zurückbleibt. Schöne Bilder zu schöner Musik befördern doch allzu sehr ein gewisses Mozart-Klischee, das man eigentlich überwunden glaubt“ (Bernd Künzig).
Nun gut, da schweigt der Laie dann wohl besser, hat ihm dieses „Klischee“ doch einen musikalisch wunderbaren und im Bühnenbild überraschenden Abend beschert.
Für die erwähnten Rezensionen siehe auch:
Oberflächenglanz: Stuttgarter Idomeneo im eleganten Bühnendesign | Bachtrack
Stuttgart: „Idomeneo“, Wolfgang Amadeus Mozart – Der Opernfreund
Mozarts „Idomeneo“ in Stuttgart: Schöne Bilder zu schöner Musik - SWR Kultur