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Ort: Festspielhaus Baden-Baden
Nach dem Besuch des John Neumeier Balletts „Dona Nobis Pacem“ (2023) hatten sich die Donaueschinger Musikfreunde in diesem Jahre (2025) das in Hamburg im Jahr 2000 uraufgeführte Ballett „Nijinsky“ vorgenommen. Selbstverständlich waren die Erwartungen hoch, wenn sich ein weltberühmter Balletttänzer, ein gefeierter großartiger Choreograph der Gegenwart mit dem Leben eines revolutionären Tänzers der Vergangenheit in einem abendfüllenden Handlungsballett beschäftigt: Vaslaw Nijinsky, dem „Dieu de la Danse“.
Geboren 1889 in Kiew, gestorben 1950 in London, hat Vaslaw Nijinsky mit seinem Tanz und mit seiner Form der Bewegung das Ballett neu erschlossen. Er hat in den Figuren, die er getanzt hat, fasziniert und mit den Choreografien, die er geschaffen hat, das Publikum in Atem gehalten. Sein Leben war von extremen Höhen, aber auch Tiefen geprägt, ebenso wie von einer langen psychischen Erkrankung, einer Schizophrenie. John Neumeier hat sich in seiner über 50 Jahre währenden Karriere als Ausnahmetänzer und gefeierter Choreograph intensiv mit ihm und seiner Laufbahn beschäftigt: Tanz in vollendeter Form als Ausdruck der Seele, auch der tiefsten Wünsche und Leidenschaften.
Immerhin 16 Musikfreundinnen und Musikfreunde trafen sich also am 05.10.2025 gut gelaunt und erwartungsfroh am Parkplatz vor den Donauhallen. Der großzügigen Zeitplanung zum Trotz war die Fahrt nach Baden-Baden doch etwas mühselig, sorgten doch viele Staus dafür, dass wir nur knapp vor dem Beginn der Einführung das Festspielhaus erreichten. Aber wir genossen sofort die herrliche Atmosphäre dort.
Wir nahmen unsere Plätze ein und wurden sogleich von Neumeiers Bühnenbild in den Bann gezogen. Es zeigte in sehr reduzierter Form den Festsaal des Hotels „Suvretta House“ in St. Moritz, wo Nijinsky am 19. Januar 1919 das letzte Mal öffentlich tanzte. Er wollte hier den faszinierten oder auch entsetzten Hotelgästen „den Krieg tanzen, mit seinem Leid, seiner Zerstörung und seinem Tod“.
Die nächsten 45 Minuten zogen Rückblenden, Erinnerungen und Visionen an uns vorüber. Wir glitten hin und her – zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Wichtige Bezugspersonen erschienen, nicht immer sogleich erkennbar: Nijinskys Schwester Bronislawa, sein Bruder Stanislaw, ebenso psychisch erkrankt, dann natürlich Serge Diaghilew, der Nijinsky zum Star der Kompanie „Balletts Russes“ und zu seinem Geliebten machte. Berühmte Rollen und Bühnenfiguren werden im Tanz angedeutet, natürlich der „Goldene Sklave“ aus „Scheherazade“, der „Faun“ aus „L’Apres-midi d’un faune“ und “Petruschka“ nach der Musik von Igor Strawinsky. Das Ende des ersten Teils zeichnet den Weg in die Katastrophe vor, als Diaghilew Nijinsky entlässt und dieser Ramola de Pulszky heiratet, die ihn mehr als Star und Tänzer, denn als Gatten liebt.
Im zweiten Teil lebt Nijinsky zusammen mit seiner Frau Ramola. Doch während des 1. Weltkrieges verliert er seine gesellschaftliche, soziale und psychische Stabilität. Er verliert Heimat, Orientierung und Realität. Albträume und bruchstückhafte Rollenbilder kehren in seiner Erinnerung zurück und konfrontieren ihn mit früher getanzten Rollen, mit realen Personen wie Serge Diaghilew, mit der Wirklichkeit in psychiatrischen Kliniken und mit dem Chaos des laufenden Weltkrieges.
Am Ende steht Nijinsky allein auf der Bühne, er tanzt, wieder im Ballsaal des Hotels „Suvretta House“, in völliger Entrückung „für Gott“.
Natürlich waren wir begeistert von den Bildern, dem Tanz der großartigen Solistinnen und Solisten, der gesamten vielköpfigen Kompanie des Hamburg Balletts sowie den teilweise sehr farbigen Kostümen und dem Bühnenbild, geschaffen von John Neumeier selbst. Auch die Musik von Frédéric Chopin, Nicolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow, Dimitri Schostakowitsch und Robert Schumann, von John Neumeier feinfühlig ausgewählt und von der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter Nathan Brock großartig dargeboten, waren ein Genuss.
Der Applaus war lang und anhaltend, es gab aber keinen einzigen Szenenapplaus. Vielleicht lag das auch an den vielen eindrucksvollen Bildern, vielleicht auch daran, dass es manchmal schwierig war, Personen, Sinn und Inhalt des jeweiligen Tanzes zu erkennen. Vielleicht lag es aber auch an dem schon etwas in die Jahre gekommenen Publikum, welches Ballett in dieser schönen Umgebung schon zu häufig genossen hat.
Uns jedenfalls hat es sehr gefallen: Es war wieder einmal ein großartiges Erlebnis. Das ließen auch die vielfältigen Gespräche während der Heimfahrt erkennen, in denen wir immer wieder neu Personen, Rollen, Kostüme und Bezüge zu deuten und zu erklären versuchten. Das Studium des gut gemachten Programmheftes zuhause würde sich sicher lohnen.
Solisten: Alexandr Trusch (Vaslaw Nijinsky), Anna Laudere (Ramola Nijinsky), Ida Stempelmann (Bronislava Nijinska), Luis Musin (Stanislaw Nijinsky), Edvin Revazov (Serge Diaghilew)
Hamburg Ballett
Württembergische Philharmonie Reutlingen unter der Leitung von Nathan Brock.
Musik von Fréderic Chopin, Nikolai Rimski-Korsakow, Dimitri Schostakowitsch und Robert Schumann