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Ort: Theater Basel (Anmeldeschl. 06.12.2024)
Ausflug zum Ballett „Julia & Romeo“ in das Theater Basel
Wir wussten es schon vorher: Der Vorschlag für einen Besuch des Balletts – besser des Tanzspektakels – „Julia & Romeo“ in Basel war mutig, sehr mutig – im Nachhinein müssen wir leider sagen – fast zu mutig!
Aber jetzt erst einmal von Anfang an: Wir hatten zwei sehr schöne Opernbesuche im Theater Basel hinter uns: „Salome“ von Richard Strauss und „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi. In Baden-Baden durften wir uns am Ballett “Dona Nobis Pacem” von John Neumeier erfreuen und im aktuellen Programm erwartet uns „Anna Karenina“ in Stuttgart – ebenfalls von diesem Großmeister der Ballettchoreographie. So dachten wir, hätten wir vielleicht mit dem klassischen, sehr häufig bearbeiteten Thema „Romeo und Julia“ – Stopp! – mit „Julia & Romeo“ einen interessanten Vorschlag für unsere Musikfreunde. Am Theater Basel als radikales Tanztheater zweier isländischer Tänzerinnen und Choreographinnen angelegt, wollten wir uns durchaus auf eine mutige, spektakuläre, zeitgenössische Interpretation dieses Themas einlassen.
Wir meinten zu wissen, worauf wir uns einlassen. Am 22. November 2018 fand die Uraufführung in München im Gärtnerplatztheater statt. Die Kritiken der Zeitungen waren nicht übel und machten uns Mut. So hieß es in BR Klassik: „Eine extreme und polarisierende Tanz-Performance am Gärtnerplatztheater. Die beiden isländischen Choreographinnen Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir zeigen Shakespeares Liebes-Tragödie als brutalen Abgesang auf Sexualität - das überzeugt“. Die „Süddeutsche Zeitung“, der „Münchner Merkur“ und die „Abendzeitung“ äußerten sich teils kritisch, teils mutig lobend. So schrieb der Merkur am 24/25.11.2018: „Man sollte sich auf dieses Island-Wagnis einlassen“.

Aber was uns in Basel tatsächlich erwarten würde, wussten wir nicht. Und so besuchten wir einige Tage vor der ersten Aufführung die in Basel übliche Informationsveranstaltung „Vor der Premiere“, die in einer gut 20-minütigen Bühnenprobe gipfelte. Die Ballettdirektorin Adolphe Binder, die Kostümdesignerin Hanna Kisch und der Musiker und Komponist Valdimar Jóhannsson schilderten uns Idee und Ausführung dieses exzessiven Tanztheaters: Uns wurde klar, dass das klassische Thema, die unerfüllte Liebe zweier Menschen, das klassische Ballett und auch die Musik von Sergej Prokofjew in den Hintergrund treten würden. Die Liebe zwischen Frau und Mann, Partnerschaft und Sexualität würden hier eine völlig neue, feministische oder auch diverse Neuinterpretation erfahren.
Aber leider hatte das Theater Basel genau mit diesen Momenten sehr stark Werbung für die Produktion gemacht. Sie hatten den ersten Teil als humorvolles und heiteres Tanzspektakel präsentiert und den zweiten Teil nach der Pause als blutige, archaisch-brutale, von E-Gitarren begleitete Performance beschrieben. Wir meinen: übertrieben. Und auch die der Premiere folgenden Kritiken in „Basler Zeitung“ und „NZZ“ folgten diesem Muster, so dass wir uns nicht wunderten, dass sich nur sehr wenige Interessenten für „Julia & Romeo“ fanden. Aber die Reservierungsfrist war noch nicht erreicht.
Was tun, hatte uns doch ein wenig der Mut verlassen? Anderseits stand die Frage im Raum: Was hatten wir in der „Vorpremiere“ nun wirklich erlebt?
Mithin wir zwei, die Organisatoren der Opern- und Ballett-Besuche, fuhren am 19.01.2025 alleine nach Basel. Wir gönnten uns vor dem Theaterbesuch die grandiose Matisse-Ausstellung „Einladung zur Reise“ im Museum der Fondation Beyeler in Riehen. Im Theater Basel angekommen, hörten wir uns die Einführung an. Und vielleicht verstanden wir sogar, dass man die Tragödie William Shakespeares „Romeo und Julia“ aus dem Jahr 1597 auch als Verheiratung einer liebenden Kindfrau mit einem natürlich dominanten, aber liebenden Mann im Umfeld brutaler, sich bekämpfender Familien verstehen kann. Bekanntlich begehen beide Liebenden Selbstmord.
Wir selbst sehen uns nicht als Ballett-Spezialisten und so empfanden wir das Ballett – besser – dieses Tanzspektakel als faszinierend ungewöhnlich. Es war ganz anders, als wir erwartet oder auch befürchtet hatten. Rudimentär und nur im Hintergrund versteckt begleitete im ersten Teil Prokofjews Musik die Tänzer. Die Compagnie bot insbesondere in ihrer Einheit, aber auch in Paaren oder Gruppen viele überraschende Momente, gelegentlich auch Zitate des klassischen Balletts. Das Klischee des stummen Tänzers war vergessen und so wurde geflüstert, rhythmisch gestöhnt und geschrien. Die Philosophie der Realisation, jede und jeder tanzt jede Rolle, wirkte stimmig. Das Ensemble agierte als überwältigende Einheit, konnte überzeugen. Leichtigkeit, Heiterkeit und Humor fanden sich gerade in der – allerdings recht lang geratenen – „Vorstellungsrunde“ der einzelnen Tänzerinnen und Tänzer. Doch in nicht vorhersehbarer Weise stellten sich gegen Ende des ersten Teils leider auch Langeweile und Erschöpfung ein.

Der zweite Teil war dann alles andere als „langweilig“. Er war laut, „blutig“ und „gewaltvoll“. Am Anfang von elektrischen Gitarren begleitet, erlebten wir nur noch wenig Ballett, hingegen viel Gruppengymnastik, exzessiven Tanz: Es kam zum erwarteten, ekstatisch blutigen Tanzspektakel. Eine spannende Lichtführung unterstützte das Geschehen ebenso wie das sich immer bewegende, manchmal spärliche, teils aber schwülstige Bühnenbild mit einem herzförmigen Bett und schwebenden Neonherzen im Zentrum. Kitsch oder Kunst, das war hier die Frage. Aber verstörend oder gar abstoßend war dieses Tanztheater nie. Wir waren eigentlich immer fasziniert von der Dynamik und der Ästhetik auch der blutigen Szenen.
Hat es sich gelohnt? Eine schwer zu beantwortende Frage. Jeder von uns hat etwa 150 EUR ausgegeben für ein Experiment, für eine neue, nicht absehbare Erfahrung. Und wir können im Nachhinein jeden unserer Musikfreunde verstehen, der/die sagte: „Das ist es mir nicht wert“. Andererseits war das Basler Theater sehr gut besucht, fast ausverkauft. Das Publikum war ausgesprochen durchmischt, jung und alt, schick und locker und sicher nicht elitär. Vielleicht ist dies der Frage zutreffendste Antwort: „Man sollte sich auf dieses Island-Wagnis einlassen“, hatte der Münchner Merkur geschrieben und hervorgehoben, dass man sich auch in der Kunst nie neuen und ungewöhnlichen Wegen verschließen sollte.
Würden wir es wieder „wagen“: Ja!